Dienstag, 3. Juli 2012

Australien (Juni) - Ich setze vorerst einen Punkt

Hallo zusammen..

Neuseeland habe ich mittlerweile den Rücken gekehrt und mit dem Flieger nach Australien übergesetzt. Australien ist Leichtigkeit und Lifestyle, das wird mir schnell klar. Jeden Tag begegnen mir hier wundervolle Menschen und tolle Momente. Nach nur einem Monat hat auch dieses Land seinen festen Platz in meinem Herzen gefunden.


Bis zu diesen Zeilen war ich immer bemüht, euch auf dem Laufenden zu halten. Mit Beiträgen - ähnlich einem Reisebericht - habe ich stets versucht, etwas von dem was hier passiert, nach Hause zu schicken. Um euch teilhaben zu lassen an meinen Eindrücken. 
Das Reisen hat allerdings auch eine sehr starke Wirkung auf einen selbst. Es verändert einen spürbar. Und das ist auch gut so. Meine innere Stimme gibt mir an dieser Stelle jedoch zu verstehen, dass ein Reisebericht in der Form wie bisher nicht mehr genug ist. Ich das Gefühl habe, euch nur Bruchteile von dem nach Hause zu senden, was hier wirklich passiert. Mein Bestreben liegt jedoch in dem Versuch, möglichst viel von dieser unglaublich komplexen Veränderung darzulegen. Auch die Dinge, die tiefer rein gehen. 
Da die Zugriffzahlen auf diesen Blog unerwartet hoch sind und ich nicht mehr nachvollziehen kann, wer das Niedergeschriebene liest, werde ich von hier an erst einmal "für mich", sozusagen "im stillen Kämmerlein", weiter schreiben. Sobald ich mit meinem Gefühl Übereinstimmung finde, dass meine Eindrücke für die Öffentlichkeit bestimmt sind, wird hier ein Link stehen, mit dem ich euch auch gerne an diesen Erfahrungen teilhaben lasse. Genau an dieser Stelle setze ich jedoch erstmal einen Punkt.


Wenn das zur Zeit laufende, sehr aufwendige Prozedere zur Beantragung eines Touristenvisums von Erfolg gekrönt sein wird, werde ich Australien Ende des Monats verlassen und den Rest meiner verbleibenden Zeit in Indien verbringen. Es zieht mich regelrecht dorthin, ich hoffe sehr das es klappt. Mit seiner Vielfältigkeit aus Kultur, Farben und Gerüchen, Religion und seiner weit zurück reichenden Geschichte hat Indien alles, um den krönenden Höhepunkt dieser Reise zu setzen. Den südlichen Teil möchte ich von Ost nach West durchqueren um den Touristenströmen im Norden zu entgehen. Von Chennai (Madras) nach Mumbai (Bombay). Zudem würde mir die Möglichkeit geschaffen, einem Kontakt zu folgen und für eine Zeit in einem Ashram zu leben. Eine faszinierende Möglichkeit, der ich sehr gerne nachgehen möchte.
So schön wie Australien auch ist -landschaftlich eine absolute Wucht!!- mir fehlt hier der nötige Tiefgang. Und den glaube ich in Indien zu finden..


Also machts gut und bis bald!
Stefan


Sonntag, 27. Mai 2012

Neuseeland (Mai)

Die allmonatliche „Ausgabe“ meines Blogs gibt es für den Mai schon ein paar Tage früher als gewohnt, denn ich möchte auch auf diesem Weg noch einmal meiner Oma zu ihrem heutigen 84. Geburtstag gratulieren. Danke Oma, alles alles Gute, viel Gesundheit und bleib wie du bist! Falls ihr bei der ganzen Feierei noch einen Moment Zeit findet, gibt es hier wieder etwas zu lesen für euch..  :)

 
Es ist Sonntag, früh am Morgen kurz nach acht Uhr. Ich stehe neben Jo und David in einem „Mancage“,  einem Personen-Container für Außenarbeiten am Gebäude. Jo ist Kiwi, David Ire, beide sind fast einen Kopf größer als ich und auch von der Körperstatur her, man könnte meinen sie wurden mit Kraftfutter hochgezüchtet, komme ich mir manchmal vor wie ein Wicht. Die Karabiner klicken, mit einem Ruck beginnt uns der Kran an seinem massiven Haken nach oben zu ziehen. Bis auf gut dreißig Meter zum obersten Stockwerk. Unten am Boden hängt der Nebel wie Zuckerwatte zwischen den farbenfrohen Bäumen, weit am Horizont spiegelt sich glitzternd das Meer. Zur anderen Seite ragen die vordersten Gebirgszüge der Südalpen auf, deren Gipfel in den letzten Nächten weiße Spitzen bekommen haben. Die Luft ist frisch und feucht, ein kühler Wind pfeift uns um die Ohren. Zwar ist kalendarisch noch Herbst, aber der Winter scheint nun immer lauter an die Tür zu klopfen. Da heute jedoch kein Werktag ist, bleibt weiterer Lärm um uns herum vorerst aus. Und da John, unser Supervisor, um diese Uhrzeit ohnehin zu faul ist sich aus seinem gut beheizten Bürocontainer zu bewegen und die vielen Stockwerke bis hier hoch zu kraxeln um uns bei der Arbeit zuzusehen, genießen wir erst einmal die Ruhe und die Aussicht. Und nutzten die Gelegenheit, um über den Jeans Store zu philosophieren, den wir vor ein paar Tagen ausfindig gemacht haben. Seit dem verheerenden Erdbeben ist dort noch gar nichts passiert. Lediglich die Eingangstür des bis unters Dach mit Klamotten vollgepackten Ladens hat man schwer vernagelt. Verlockend wäre es ja schon, sich neu einzukleiden und auch ein Plan ist schnell geschmiedet, letztenendes hält uns aber ein nur für die Red Zone zuständiges Polizei-Department von unserem Vorhaben ab. Zu riskant, wir lassen alles da wo es ist und verwerfen den Einstieg. Allerdings ist das nicht das einzige Geschäft, das sich immer noch exakt in dem Zustand befindet, wie es nach dem Erdbeben fluchtartig verlassen wurde. Ein kleiner Minimarkt um die Ecke, ein Frisörsalon und einige Restaurants, hinter deren Schaufenstern noch die eingedeckten Tische stehen und Tortenreste in den Vitrinen mittlerweile zu Staub zerfallen, befinden sich gleich um die Ecke. Von dem gigantischen Holiday Inn Hotel unmittelbar gegenüber ganz zu schweigen. In ein paar Monaten wird von alledem Nichts mehr übrig sein, so viel steht jetzt schon fest. Und da ist die Versuchung groß, vorher nochmal einen Blick ins Innere zu riskieren.




Gerade beginnt sich Dunkelheit über die Dämmerung zu legen als ich einen Blick aus dem Fenster meines Reisebusses werfe und unweit der Straße zwei Rehböcke auf einem Felsvorsprung stehen sehe. Akkurat zeichnen sich ihre Konturen an dem von rot zu blau verlaufenden Abendhimmel ab. Zwölf Stunden Fahrt stecken mir in den Knochen, eine Fahrt von Christchurch immer an der Küste entlang in einem weiten Bogen bis zum Ziel. Auf dieser ausgedehnten Inselrundfahrt gabs viel zu erblicken, so viele Ecken in so kurzer Zeit, allerdings bis auf ein paar Stopps mit kurzzeitigen Aufenthalten auch leider keine Gelegenheit sich irgendetwas von dem Gesehenen einmal ausführlicher anzusehen. Und so preschte mein Reisebus termingetreu bis hierher um sich wenig später in seiner ganzen Breite durch die schmalen Straßen von Te Anau zu zwängen. Ich bin hier um mich mit Alex und Ben zu treffen, die schon ein paar Tage eher losgefahren sind, um unsere Inselrundfahrt gemeinsam fortzusetzen. An der Waterfront finden wir zusammen. Anne Marie, Lydia, Poppi und Schuh sind auch da. Nach 6 Monaten Australien wollen die Vier ein paar Wochen Neuseeland einschieben, natürlich eine gute Gelegenheit, um wenigstens eine kurze Zeit gemeinsam zu reisen. Und da ist Te Anau der perfekte Treffpunkt. Von hier aus verläuft eine 150km lange Strasse quer durch den Nationalpark unmittelbar bis nach Milford Sound, wo sie endet. Und genau dieses legendäre Milford Sound wollen wir uns in den nächsten Tagen gemeinsam ansehen.




Ein Wohnmobil vom Feinsten haben sich die Vier für ihre NZ-Zeit gemietet. Eine kleine mobile Wohnstube, die in der gerade begonnenen Nebensaison erstaunlich günstig ist. Zur Sommerzeit und Hauptsaison kostet ein Motorhome dieser Kategorie ein halbes Vermögen. Den ungewohnten Komfort einer beheizten Sitzecke und zahlreichen weiteren Vorzügen wissen wir natürlich sehr zu schätzen und sitzen nun bei den Neuankömmlingen als Gäste am Tisch. Bis tief in die Nacht gibt es bei Wein aus dem Tetrapak natürlich viel zu erzählen. Nach unserer Nacht im Grünen kriechen wir bereits früh am Morgen bei dichtem Nebel aus dem Schlafsack. Keine zwanzig Meter Sichtweite lässt das milchige Umfeld zu aber dafür ist es nicht kalt. Wir fahren zunächst zurück nach Te Anau um dort auf den Highway nach Milford Sound abzubiegen. Für die nächsten zwei Stunden wird falsch Abbiegen oder Verfahren absolut unmöglich sein. Und so passieren wir einen der größten Nationalparks der Erde, vorbei an goldgelben Valleys und verwunschenen Seen, in denen sich die umliegenden Bergkämme spiegeln, um schon am Vormittag unser heutiges Tagesziel Milford Sound zu erreichen. Auf dem ersten Blick gleicht es ein bisschen einem dieser norwegischen Fjorde, es ist wirklich beeindruckend. Mit unserer Ankunft schafft es auch die Sonne gerade, sich mühseelig über die steilen Felswände zu kämpfen und die zwischen ihnen ruhenden letzten Nebelreste im Fjord aufzulösen. Wir buchen uns eine Bootstour am Nachmittag, packen die Stühle aus und genießen die Szenerie unmittelbar am Wasser. Es ist wirklich ein wunderschöner und ruhiger Flecken Erde der nur hin und wieder durch ein zum Rundflug ansetzendes Flugzeug oder einem knatternden Helikopter für einen Moment gestört wird, die sich schon nach kurzer Flugphase in der Weite verlieren und bald darauf nur noch als winzige Punkte vor den gigantischen Felswänden zu erahnen sind. Am späten Nachmittag schippern wir dann über den Fjord bis zum Meer, wo die Wellen richtig groß werden. Ganz vorn am Bug zu stehen, im Wellengang auf und ab zu steigen und nass gespritzt zu werden macht Allen richtig Spaß. Aber auch das, was wir auf unserer fast zweistündigen Fahrt zu sehen bekommen ist sehr beeindruckend. Mehrere tausend Meter ragen die Felsen direkt aus dem Wasser empor, weit über uns ihre wolkenverhangenen Gipfel. Noch nie habe ich Wasser und Wolken so dicht beieinander gesehen wie hier. Auf kleinen Felsen, die aus dem Wasser heraus ragen, liegen faul einige Seehunde, im Wasser tummeln sich Zwergdelphine. Noch vor einbrechender Dämmerung erreichen wir wieder das kleine Pier und suchen uns an einem der zahlreichen Docks unmittelbar im Nationalpark eine Stelle zum Übernachten.





In den nächsten Tagen hangeln wir uns mit Borat die Küste entlang und erreichen schon bald die Studentenstadt Dunedin. Auf unserem Weg hierher haben wir dem südlichsten Punkt des festländlichen Neuseelands einen Besuch abgestattet, eingeschlossene Fossilien im Felsgestein und atemberaubende Cathedral Coves gesehen, Höhlensysteme, die sich unglaublich hoch und tief in das Gestein ziehen und nur bei absoluter Ebbe zugänglich sind. Unser Weg war stets geziert von  Schafweiden, auf denen die Schafe dicht an dicht stehen und kurz vor der Scheerung so unglaublich buschig und flauschig aussehen, zu gern würde ich ja mal eins knuddeln aber leider laufen sie immer davon. Aber nach der ländlichen Idylle der letzten Tage werden wir die Nächsten hier im belebten Dunedin verbringen. Es trifft sich gut, das wir es an einem Donnerstag erreichen, so haben wir das Wochenende für ein paar Abende zum Ausgehen unmittelbar vor uns. Und diese werden wir vor unserer Rückkehr nach Christchurch nutzen..




 

 
Mittlerweile ist Ende Mai, meine Zeit hier in Christchurch neigt sich dem Ende entgegen, der Abschied rückt näher und näher. Und es passiert etwas in der Red Zone, was einem eine kleine Kostprobe von dem gibt, wie schnell es einen Abschied für immer geben könnte.
Seit ein paar Tagen sind wir mit dem Verkauf von Borat beschäftigt. Telefonate mit Interessenten, Besichtigungen, heute in der Mittagspause sind wir beim zuständigen Office für die Ummeldung des Fahrzeugs gewesen. Um noch eine Kleinigkeit zu essen nachdem wir wieder zurück sind, bleibe ich noch kurz im Pausenraum während sich alle anderen bereits auf den Weg über die zahlreichen Treppen zum obersten Stockwerk machen. Ich schiebe die Nudeln in die Mikrowelle und warte. Bing, fertig! Und gerade bin ich dabei meine Nudeln zu verspeißen, da fallen sie mir von der Gabel zurück in die Box. Der gesamte Pausenraum beginnt heftig an zu wackeln. Sicherheitshalber bewege ich mich zwischen die Aufzugsschächte, stets einem der stabilsten Bereiche eines Gebäudes, der demnach auch als Letztes einzustürzen droht. Schon nach wenigen Sekunden ist alles vorüber. Im Inneren des Gebäudes ist alles still, auch draußen ruhen die Maschinen. Die erste Frage: Wie stark wird dieses Beben wohl gewesen sein? Ab Stärke 5 muss umgehend die Evakuierung des Gebäudes, darauf folgend der gesamten Red Zone, erfolgen. Gut möglich ist das schon, schließlich hat es ordentlich geschaukelt. Ich schnappe meine Sachen und gehe vor die Tür zum Sammelpunkt. Es war eine 5,2, alle raus! Und während ich dort draußen auf all die Anderen warte die noch im Gebäude sind, nutze ich diese kleine Kostprobe und versuche mich in dieser Situation mit dem Ernstfall, einem eventuellen Einsturz des Gebäudes bei einem stärkeren Beben, vertraut zu machen. Kein schönes Gefühl, aber die Gefahr ist allgegenwärtig, denn dieses für diese Region mittlerweile schon „normale“ Beben schafft es sogar in die internationalen Nachrichten. Als es scheint, dass alle draußen sind, erfolgt der Abgleich. Anschliessend werden alle Arbeiter nach Hause geschickt. Für die nächsten zwei Tage wird die Arbeit ruhen, das Gebäude muss durch Sicherheitsingenieure überprüft werden. Zwar befinde ich mich bei meiner persönlichen Zählung der letzten verbleibenden Tage bereits im einstelligen Bereich, aber über ein richtiges Wochenende freue ich mich natürlich auch mal wieder, da wir mittlerweile soagar sieben Tage die Woche arbeiten.
Durch die unverhofften freien Tage haben wir ausreichend Zeit, um Borat seinem neuen Besitzer zu übergeben. Der Zuschlag für ihn war ein wenig kurios. Im Laufe des Tages hat jemand angerufen, der zeitlich verhindert seinem Arbeitskollegen bescheid geben wollte, um das Fahrzeug anzusehen. Wir einigen uns am Telefon auf einen Mitnahme-Preis. Am Abend ruft dann ein Mann an, der von seinem Arbeitskollegen über den Van informiert wurde und möchte in der nächsten Stunde vorbei kommen um das Fahrzeug zu besichtigen. Gesagt, getan, kurz darauf ist er da. Ein paar Fragen, eine halbe Runde um das Fahrzeug, eine weitere Frage zum erwarteten Kaufpreis. Ich erklären ihm, das wir uns mit seinem Arbeitskollegen heute Nachmittag bereits auf $4.000 geeinigt haben, das Auto „so wie es ist“ zu verkaufen. Eine Sekunde der Überlegung, dann streckt er seine Hand aus. Deal! Er kauft das Fahrzeug nach der Ansicht einer Fahrzeugseite, einem kurzen Blick in den Laderaum und ohne es anzulassen geschweigedenn eine Runde um den Block zu fahren. Und somit kauft er Borat mit 8.000km ausstehender Dieselsteuer und einer eingerissenen Windschutzscheibe. Dennoch ein fairer Deal, denn knapp $600 wird es kosten die Mängel zu beheben, zudem hat Borat im Vergleich durchaus noch einen Wert von knapp $5.0000. Ein guter Kompromiss für alle Beteiligten und Borat wird fortan Werkzeug auf die Baustelle fahren.




Die letzten Tage bestehen im Wesentlichen darin, meine Sachen zu packen und nach nun mehr zweieinhalb Monaten meine Zelte hier in Christchurch abzubrechen. Zurück nach Auckland wird die Reise gehen, dort wo vor ziemlich genau sechs Monaten alles begann. Ein halbes Jahr, das vieles beinhaltete. Freude und Streit, Zuversicht und Aussichtslosigkeit, Reisen und Arbeit, Stille und Geschwindigkeit. Zweimal wäre ich fast drauf gegangen, bestohlen wurden wir auch. Was haben wir alles gesehen, was haben wir durchgemacht!! Es waren sechs Monate, von denen wir bis zu einer kleinen Ausnahme für ein paar Tage zum Schluss, ausnahmslos jeden Tag zusammen waren. Immer und überall. Führt man sich das einmal vor Augen, jede intakte Beziehung würde unter diesen Umständen gnadenlos in die Brüche gehen. Aber zum Glück sind wir drei Männer.. ;) Nun ist es Zeit lebewohl zu sagen und natürlich freue ich mich auf den bevor stehenden neuen Abschnitt und zu entdecken, was er bereit hält. Alex, dir viel Spaß in Deutschland und bald darauf in Australien. Grüße an die Daheimgebliebenen. Ben, dir natürlich auch eine erlebnisreiche Weiterreise und auf ein Wiedersehen in Brisbane. ;) Lasst es euch gut gehen und danke für die schöne NZ-Zeit..



Mittwoch, 2. Mai 2012

Neuseeland (April)

In den letzten Wochen hat ein wenig der Alltag Einzug in unser Leben in Christchurch gehalten. Sechs Tage die Woche sind wir auf der Baustelle in den einstigen Geschäftsräumen der Westpac-Bank. Die großzügig ausgestatteten Räumlichkeiten, all die mühseelige Arbeit der vergangenen Zeit, beginnt Stück für Stück wieder zu verschwinden. Vergleichbar mit einem großen Ameisenhaufen, in dem die abertausenden Helfer eifrig an der Herrichtung arbeiten, nur eben in umgekehrter Reihenfolge. Würde man sich dieses Treiben zudem im Zeitraffer anschauen, das Gewusel wäre grenzenlos. 
Seit ein paar Tagen haben wir auch einen neuen Supervisor. John aus Irland. Ein wenig untersetzt ist er, sein Kopf spiegelglatt rasiert. Auffallen tut er neben seiner lauten Ansagen aber vorallem durch seinen vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Gang, wenn er wieder einmal über die Baustelle schreitet. Mit ein paar britischen Gefolgsleuten wurde er extra aus Europa eingeflogen, um die Geschicke in die Hand zu nehmen. Unser bisheriger Vorgesetzter Peter muss seinen Platz räumen. Von nun an hallen die schroffen Kommandotöne von John durch die Etagen und ein wenig vermissen wir die feinfühlige Umgangsart von Peter, die wir schnell zu schätzen gelernt hatten. Aber schon nach einiger Zeit beginnt sich auch John von einer anderen Seite zu zeigen. Zwar bleiben seine Ansagen auch für den einfachsten Arbeiter unmissverständlich, klar und direkt, aber seine menschliche Seite gewinnt zusehens an Bedeutung. Für meinen bisherigen Weg interessiert er sich, wie lange es mich noch hier hält und wo es noch hingehen soll. Gern berichte ich ihm von meinen Erfahrungen, erzähle ihm von Amerika, Asien und meinen Eindrücken in Neuseeland aber wie es weitergeht, das steht noch in den Sternen. Zwar schweben mir desöfteren interessante neue Ziele vor, die schnell zu Träumerein führen, aber das nun alles schon im Voraus festzulegen und mir meinen weiteren Weg vorzugeben, das möchte ich nicht. Neue Möglichkeiten finden ihren Platz im Hinterkopf und wenn sich die Chance ergibt wird sie ergriffen werden. Australien ist ein ziemlich konkretes Thema, aber alles zu seiner Zeit und wenn sie reif ist dafür. 
Gesehen hat John auch schon Einiges, gibt viel von dem Preis und überrascht mich immer mehr, wenn er zu erzählen beginnt. Nach mehreren Wochen der Zusammenarbeit kann ich den ersten Eindruck, als er mir mit den Worten: „Don’t touch it. Leave it. You understand? Yes?“ begegnete und mich wie einen dummen Jungen behandelte, in keinster Weise mehr nachvollziehen. Dachte ich mir damals noch stets „Yes sir“, wenn er wieder einmal den Höflichkeitsabstand stark unterschritt und bis auf wenige Zentimeter heran trat, und war immer froh, wenn er wieder seiner Wege ging, scherzen wir nun und anschliessend lässt er mich meiner Aufgaben nachgehen. Unseren Vermittlungsagenten überhäuft er mit Lobeshymnen über uns. Nur die allmorgendlichen Fragen, wie viele Bier und Frauen es gestern Abend waren, kann er sich nach wie vor nicht verkneifen. Allein bei dem Gedanken an die für ihn bereits nach einem Monat schon legendäre Manchester Street, an deren Seiten sich bereits am frühen Abend leicht bekleidete Damen zur Schau stellen, gerät er ins Schwärmen und reibt sich verschmitzt lachend die Hände. Ein Ire durch und durch, so wie die ganze Bande..



Das Osterwochenende steht vor der Tür. Vier freie Tage, die die Chance für einen Ausflug bieten. Unsere Wahl fällt auf den Mount Cook, den höchsten Berg Neuseelands. Am Karfreitagmittag machen wir uns mit Borat auf die Socken. Wir verlassen Christchurch und biegen auf den Scenic Drive ab, eine kleine Straße durch eine landschaftlich reizvolle Ecke des Landes, die ich von zwei Münchnern beim Frühstück wärmstens ans Herz gelegt bekommen habe. Gesagt, getan. Die Empfehlung ist super und eine wunderbare Alternative zum Highway 1, der zwar sicher die schnellste Verbindung darstellt, aber Zeit soll an unserem verlängerten Wochenende keine Rolle spielen. Und darüber bin ich sehr froh. Denn Zeit birgt unter uns drein auch nach nun mehr fünf Monaten des gemeinsamen Reisens das größte Konfliktpotential. Wann und wo werden wir wie etwas machen.. Aber mal ehrlich: Sind wir in dieser Hinsicht nicht lange genug Soldat gewesen? Bietet diese Auszeit hier nicht die Möglichkeit, mal etwas anderes auszuprobieren? Es bleibt die Einsicht, dass wir in diesem Punkt grundlegend verschieden sind. Und es mit höchster Wahrscheinlichkeit auch bleiben werden. Aber wir haben darüber gesprochen, akzeptieren mittlerweile die verschiedenen Ansichten und nehmen es mit Humor. Viel wichtiger: So weit wie möglich gehen wir aufeinander zu, das macht es einfacher. Was wir aber alle zusammen sehr zu schätzen wissen: Wir können gleichermaßen lachen und streiten und uns stets wieder in die Augen schauen, eine Sache, die sich als sehr wertvoll erwiesen hat.
An einem schroffen Gebirgsfluss halten wir an und wagen einen Blick von der wackligen Hängebrücke hinab. Bei jeder Überfahrt eines Fahrzeugs beginnt sie gleichmäßig zu schwingen. Ganz wohl fühlen wir uns nicht, aber die Aussicht in die traumhaft schöne Landschaft ist grandios. Die Breite des Flussbettes und die Skalen am Ufer lassen erahnen, welche Höhen der Wasserspiegel bei eintretender Schneeschmelze anzunehmen vermag und welche Wassermassen sich dann ihren Weg in die Weite der umliegenden Valleys bahnen. Träumend stehe ich wie ein kleiner Zwerg in der Mitte der riesigen Brücke und versuche mir die Kraft und Urgewalten vorzustellen, die hier im kommenden Frühjahr vorherrschen werden. Auch Ira und Matthias, die beiden Münchner vom Frühstück heute Morgen, treffen wir an dieser Stelle wieder. Es wird nicht das Letzte mal sein, dass wir ihnen in den nächsten Tagen begegnen. Sie berichten von einem Erdbeben in Christchurch heute Vormittag zum Zeitpunkt unserer Abfahrt. Eine 4,5 auf der Richterskala. Im Auto haben wir von all Dem nichts mitbekommen, aber dennoch ist die Aktivität in dieser Region beachtlich und wie sie die Bevölkerung seit einigen Jahren in Atem hält. Noch für diesen Monat ist ein weiteres schweres Beben vorhergesagt, das hoffentlich ausbleiben wird.



Die Straße schlängelt sich in einigen engen Kurven die steilen Bergrücken hinauf. Kontinuierlich gewinnen wir an Höhe. Durch prächtige Kulissen führt sie uns nach ein paar Stunden Fahrt zum Lake Tekapo, vor dessen durch Bergkristalle unwirklich türkisblau schimmernder Wasseroberfläche wir einen Moment inne halten. Es ist windstill, sie gleicht einem überdimensionalen Spiegel. Im Hintergrund perfektionieren die weit aufragenden schneebedeckten Gipfel der Südalpen dieses traumhaft schöne Panorama. Wir umfahren den See und durchqueren ein schier endlos wirkendes Valley, an dessen Ende unser Campingplatz am Fuße steil aufschießender Berge liegt. Eine Hütte bietet uns Schutz und genug Platz zum Kochen und Essen. Bald wird es dunkel. Als wir vor die Schiebtür nach draußen treten und nach oben schauen, verschlägt es uns für einen Moment die Worte. Weit oben wird der Gletscher durch den kugelrunden Vollmond angestrahlt und erzeugt eine beeindruckende Atmosphäre. Wie im Tageslicht wirkt er, drum herum ist alles dunkel.


  

Am nächsten Morgen kriechen wir nach einer frischen Nacht aus dem Auto. Wir wollen den Tag für eine Wanderung in die Umgebung nutzen. Die Wahl fällt auf die umliegenden Gletscherseen, die durch einen gut passierbaren Wanderweg zugänglich sind. Während wir laufen hören wir auf einmal tosendes Gepolter. An einer gegenüberliegenden Felswand gehen einige Lawinen ab. In einem lauten Donnern stürzen sie ins Tal. Auslöser ist die Sonne, die sich kontinuierlich ihren Weg steil und steiler nach oben bahnt und die ruhenden Schnee und Eismassen der letzten Jahre schwächt. Und so brechen immer wieder Teile ab, reißen Fels mit in die Tiefe und erzeugen dieses laute, durch die Täler hallende Grollen. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir den Gletscher zu einer ausgiebigen Rast. Auf dem Gletschersee davor treiben einige gigantische Eisblöcke im grün-braunen Wasser, die durch Verunreinigungen aber annähernd die Farbe des umliegenden Felsgesteines angenommen haben. Rings herum ragen fast senkrecht die Steilwände der hohen Bergspitzen empor.
Aus unserer Rast ist eine sehr ausgiebige Pause auf einem Felsvorsprung oberhalb des Gletschersees geworden. Bis zum Nachmittag haben wir die Ruhe genossen und unten im Tal die sich tummelnden Touristen beobachtet. Nun ist es Zeit, den Heimweg anzutreten. Langsam verschwindet die Sonne hinter den Bergen und weit unten im Tal kann man die immer größer werdenen Schatten beobachten, die einen Vorhang über unser Valley ziehen um die bevorstehende Nacht herbei zu bringen. Und wir haben Glück, ein seichter Fön zieht durch die Berge und bringt warme Luft, so dass es selbst bei völliger Dunkelheit möglich ist, im T-Shirt draußen zu sitzen. Beste Voraussetzungen für eine angenehme Nacht, in der wir noch nicht einmal die Schlafsäcke zumachen müssen. 




An den beiden Folgetagen machen wir uns wieder auf den Weg in Richtung Christchurch. Mit einem Zwischenstopp am Lake Tekapo, einer Runde Minigolf und einer Übernachtung an einem idyllischen ländlichen Dock irgendwo zwischen Kuh- und Schafweiden. Unser Osterwochenende neigt sich dem Ende entgegen, viel zu schnell hat uns Christchurch und die Redzone wieder.
Nach getaner Arbeit verbringen wir unseren Feierabend wieder einmal in der Küche und den Wohnbereichen unseres Hostels. Ich mag die Gesellschaft der vielen Leute sehr und auch das Kochen macht so gleich viel mehr Spaß. An dem großen erhöhten Esstisch, der umgeben von Barhockern in der Mitte unserer Küche steht, trifft man sich anschließend zum Plausch und tauscht Erfahrungen aus. Super interessanten Leuten begegne ich hier. Neben der familiären Atmosphäre hat unser Hostel noch ein ganz besonderes Feature zu bieten: Eine Badewanne. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie gut es tut, nach so langer Zeit mal wieder ein Bad zu nehmen. Einfach herrlich. Fortan werde ich sehr oft davon Gebrauch machen und genießen. Recht bald legen wir uns dann meist zum Schlafen, um für den nächsten Arbeitstag ausreichend fit zu sein. So auch an diesem Abend, es ist ein Feierabend fast wie jeder andere. Aber eben nur fast.. Gerade habe ich die Augen zugemacht, da fängt mein Bett auf einmal ganz langsam an zu schwingen. Ich öffne die Augen. Sind da die Nachbarn im Zimmer nebenan zugange? Immer stärker werden die Schwingungen. Ich blicke zur anderen Seite des Raumes, wo mich auch Benjamin ungläubig drein schauend anblickt. Die Flügel des großen Spiegels und die Lampe in der Mitte des Raumes schwingen gleichmäßig mit. Nach gut 10-15 Sekunden ist alles vorüber. Unser erstes wirklich gespürtes Erdbeben. Für die Einheimischen hier keine große Sache, sogar eines der angenehmeren Sorte und nur eine Stärke von 4,2, wie wir am Folgetag auf Arbeit erfahren. Für uns eine absolut neue Erfahrung und ein Vorgeschmack darauf, welcher Ausnahmezustand hier vorherrschen kann, wenn sich der Untergrund derart heftig bewegt, dass sich niemand mehr auf den Beinen halten kann und sogar Häuser zum Einstürzen bringt. Zwei Beben dieser Größenordnung hat es hier in den letzten Jahren schon gegeben und die Stadt zu dem gemacht, was sie im Moment ist. So unglaublich schade, denn Christchurch hat wunderschöne Ecken. Eine zumindest für Erdbeben nicht so empfindliche ist der traumhaft schöne Hagley-Park, der mit seinen vielfältigen Themengärten mitten im Herzen der Stadt zum Relaxen einlädt. Es gibt kaum ein Wochenende an dem ich ihm keinen Besuch abstatte und die willkommene Ruhe zum lauten Redzone-Alltag genieße. Ein wunderbar friedvoller Ort der Entspannung, perfekt um Energien in Einklang zu bringen und Kraft für die bevorstehende Woche auf der Baustelle zu tanken. Insofern uns nicht ein Erdbeben zuvor kommt und unseren stark beschädigten Arbeitsplatz schneller dem Erdboden gleich macht, als eigentlich vorgesehen.






Dienstag, 3. April 2012

Neuseeland (März)

Erste Station auf der Südinsel ist also Blenheim. Gründe für diesen Stop im Nordosten gibt es nicht viele. Wellington haben wir nach ein paar Tagen Arbeitssuche ohne Erfolg verlassen und so beginnen die Liquide in unserer Urlaubskasse langsam aber sicher zu versiegen. Ein Job muss her, deshalb fällt die Wahl auf die größte Weinregion Neuseelands.


Tag um Tag vergeht und wir werden nicht fündig. Wir erweitern die Suche in Richtung Westen nach Nelson, einer großen Apfel- und Kiwiregion gut anderthalb Stunden von Blenheim entfernt. Nichts. Aber so aussichtslos die Situation auch erscheinen mag, immer wieder tut sich dann doch eine Kleinigkeit auf, der man nachgehen kann. Und so gibts wenige Tage später einen Kontakt vom Pick NZ Office in Blenheim. Am nächsten Morgen stehen wir am Bahnhof und wenig später auf einem der riesigen Vineyards, die hier großflächig die Umgebung zieren. Die Trauben sind ein paar Wochen vor der Reife und wecken neben dem Interesse der Winzer auch das der zahlreichen Vogelarten. Einen imensen Aufwand betreiben die Wineries deshalb, das Federvieh von den leckeren Trauben fern zu halten. Durch die kreativsten Ausführungen verschiedenster Vogelscheuchen, laut knallender Schreckschusskanonen oder durch das Überhängen von Netzen. Und in Letzterem besteht unsere Aufgabe für die nächsten zwei Wochen. So denken wir. Nach nur drei Tagen ist Schluss, alle Backpacker werden kurzerhand entlassen. Dumm nur, das wir einen Tag zuvor ein weiteres Jobangebot aus Nelson abgesagt haben. Die haben sich nun anderweitig mit Leuten versorgt. Blöd gelaufen, nach einem kurzen Lichtblick ist die Situation nun wieder exakt die gleiche wie ein paar Tage zuvor. Um die laufenden Kosten zu minimieren suchen wir uns ein herrliches DOC am Meer, an dem wir die Nächte verbringen. Nachdem wir ein weiteres Mal von einem Contractor enttäuscht werden und wir uns entschliessen, zukünftig nicht mehr so viel auf deren Wort zu geben, kratzen wir die letzten Taler zusammen und checken in ein altes Hotel, mittlerweile ein Hostel, ein und vertrauen auf die Versprechung des Besitzers, durch seine zahlreichen Kontakte eine Stelle zu bekommen. Alex möchte im Bulli bleiben, Benjamin und ich bevorzugen ein Bett im Haus und beziehen unseren 6er Dorm zur Straße. Der erste Abend ist die Hölle. Ununterbrochen poltern dicht am Gebäude LKW’s vorbei, so laut, man könnte meinen, dass sie direkt durch unsere Betten rollen. Direkt neben der Strasse Schienen, über die einmal pro Stunde ein Güterzug donnert. Bis tief in die Nacht. Die Fenster müssen aufgrund zwei übel riechender Asiaten jedoch offen bleiben, aber selbst wenn wir sie schließen würden, die Sitauation wäre annähernd die Gleiche. Ewigkeiten starre ich an die Decke und versuche mir die Situation mit Musik in den Ohren so angenehm wie möglich zu gestalten bis ich für ein paar Stunden die Augen zumache. Ein Südinselstart, wie er ungünstiger kaum hätte verlaufen können. Eigentlich kann es nur besser werden.


Die Lage hat sich ein wenig entspannt. Hostelbesitzer Damien hat Recht behalten, wir kommen für drei Tage die Woche in einer kleinen Winery unter. Zwar sind seine Aussagen meistens mit Vorsicht zu genießen, aber diesmal war Verlass. Nun stehen wir an der Abfüllanlage im Weinkeller der Highfield Winery, an der der Wein des Vorjahres in Flaschen verfüllt wird und anschließend sogar nach Übersee, u.a. New York verschifft wird. Die Arbeit ist ziemlich entspannt und jeden Freitag bekommen wir eine Flasche vom guten Tropfen mit nach Hause. Ein Sauvignon Blanc, ein Wein, wie er typischer für diese Region nicht sein könnte. Und richtig lecker ist er auch. Einziger Wehrmutstropfen ist unser japanischer Vorarbeiter Takashi, der meint, uns trotz unserer angagierten Arbeitsweise immer und immer wieder mit japanischem Drill zurecht weisen zu müssen. Ein bischen froh sind wir, als ihm ein Fehler bei der Etikierung der Flaschen unterläuft und eine komplette Palette zurück gerufen werden muss. Wenigstens für diesen Tag hält er aufgrund seines schlechten Gewissens ein wenig inne. Stören tun wir uns an seinen Launen allerdings nicht, denn die beiden Produktionsleiter wissen unsere Arbeit zu schätzen. Zwei lustige Typen, mit denen das Arbeiten richtig Spaß macht..
Wieder sind wir für drei Tage diese Woche in der Winery. Die Frühstückspause in unserem Pausenraum mit Kaffeeautomat neigt sich dem Ende entgegen. Wie immer steckt unser japanischer Freund ein paar Minuten vor der Zeit mit den freundlichen Worten „Time is over“ seinen Kopf in die Tür und klatscht dabei wild in die Hände. Ich setze die Kaffeetasse für einen letzten zügigen Schluck an, als er hereingeplatzt kommt. „Stop drinking, time is over!“ In der Tat höre ich auf zu trinken, verharre aber hinter meiner großen Kaffeetasse und frage mich, ob das jetzt sein Ernst sein soll. Erstens ist noch Pause und zweitens bin ich in einer Sekunde fertig. Meine Augen verfolgen über die Tasse hinweg jeden seiner Schritte, als er um den Frühstückstisch galaufen kommt und auf der gegenüberliegenden Seite stehen bleibt. Einmal am Tag in Ruhe Kaffee trinken.. Ich gebe der Tasse einen weiteren Hub und entleere sie in einem Zug, zeige auf die große Uhr und verlasse den Raum mit den Worten: Don't treat me like a dog, ok? And by the way buddy, take it easy, i’ll be right back at work. Leider wird er es bis zum letzten unserer Arbeitstage nicht begreifen, dass seine Art wohl nicht die richtige ist, mit Menschen umzugehen..


Heute ist Wochenende. Ein Dienstag, denn unseres beginnt momentan am Samstag bis wir ab Mittwoch wieder für drei Tage arbeiten. Benjamin und ich haben eine kleine Sauna in einem Fitnesscenter ausfindig gemacht und wollen dort ein bissl schwitzen gehen. Squash oder Tennis fällt leider flach, denn trotz der zahlreichen Courts gibt es im gesamten Komplex nicht einen einzigen Schläger. Also wirds nur die Sauna. Auf dem kleinen Ofen kann man sogar einen Aufguss improvisieren, so das wir die normal üblichen 60 Grad noch ein wenig in die Höhe treiben können. Sehr angenehm, da merke ich doch gleich, was mir die letzten Monate auf jeden Fall gefehlt hat. Nach vier Gängen haben wir genug und sind dabei unsere Sachen zusammen zu suchen. Aber sie sind weg, die Taschen meiner Jacke offen! Keine Geldbörse, kein Handy. Eine Minute später, als noch eine Frau nach ihrer Sonnenbrille suchend in den kleinen Vorraum stürzt, sind wir uns im Klaren, dass wir bestohlen worden sind. Es folgen Diskussionen mit dem zuständigen Personal und dem Center-Manager. Schnell stellt sich heraus, dass wohl zwei Maori-Girls im Verdacht stehen. Mensch Mädels, wenn ihr die Kohle braucht, dann nehmt sie euch, aber bitte erspart mir doch die ganze Rennerei wegen Dokumenten und Karten und lasst mir meine geliebte Waschtasche. Die haben sie natürlich auch mitgenommen – dieses Prachtstück. Glück im Unglück: Wenigstens hab ich meinen Reisepass zu Hause gelassen. Kurze Zeit später trifft die Polizei ein und nimmt den Schaden auf. Sämtliche Karten haben wir in dieser Zeit schnellstmöglich gesperrt, um eine ausgiebige Einkaufstour auf unsere Kosten zu vermeiden.  Zwei Wochen später werden wir einen Anruf der Polizei erhalten, dass sie die Diebe gefasst haben. Vom Diebesgut keine Spur, aber es wird uns versichert, dass Sie für den entstandenen Schaden aufkommen müssen.



Nach all den Strapazen rund um Jobsuche und Diebstahl verlassen wir Blenheim und machen uns auf den Weg nach Christchurch, der Stadt, die nach einigen Erdbeben schwer getroffen wurde und wo es zahlreiche Jobs geben soll. Noch von Blenheim haben wir Anfragen an Jobagenturen in Christchurch per Email verschickt und bereits am Folgetag positive Resonanz erhalten. Also machen wir uns auf den Weg. Nach zwei Tagen treffen wir ein. Die gesamte Innenstadt ist durch einen Sicherheitsring abgesperrt, der nur durch einige vom Militär überwachte Zugänge passierbar ist. Zu groß ist die Einsturzgefahr einiger Gebäude. Die Regierung hat nun beschlossen, das gesamte City Centre dem Erdboden gleichzumachen und anschließend neu aufzubauen. Sehr schade, denn der erste Eindruck von Christchurch ist überaus positiv. Eine Stadt mit vielen Parks und alten Gebäuden, von denen allerdings viele nach den schweren Beben mit fast zweihundert Toten arg in Mitleidenschaft gezogen wurden. Und dennoch habe ich das Gefühl, mich hier wohlfühlen zu können.




Nach nur einem Tag der Arbeitssuche und einigen Vorstellungsgesprächen bei den angeschriebenen Agenturen haben wir vier Jobangebote zur Auswahl. Die Nächte verbringen wir im Addington Motor Park unmittelbar neben dem neuen Rugby Stadion, in dem am ersten Samstag das Eröffnungsspiel stattfindet und die Straßen um uns herum mit bunten Menschenmassen füllt. Zu Beginn der neuen Woche entscheiden uns für eine gut bezahlte Stelle mit viel Arbeit als Demolition Worker. Wir bekommen die nötige Arbeitsausrüstung und einen Red Zone Pass, der es uns ermöglicht, die Kontrollen zum City Centre zu passieren. In den folgenden Wochen werden wir also Christchurch mit Hammer und Brecheisen anstatt Tourimap und Kamera besichtigen und Teil des Geschehens sein, die Gebäude zu entkernen und für den Abriss vorzubereiten. Am ersten Arbeitstag wird uns das gesamte Ausmaß der Zerstörung vor Augen geführt. Hotels, Banken und Geschäfte stehen teilweise halb zerstört in dieser Geisterstadt. Straßen, Fußgängerzonen, die unzähligen Schilder von McDonalds, Burger King, Hallenstein und Co, Straßenbahnschienen und Haltestellen, all das lässt einen erahnen, wie es gewesen sein könnte, als diese Gegend noch mit Leben gefüllt war. Nun ist hier bis auf ein paar Bauarbeiter keine Menschenseele. Ein besseres Beispiel für die Vergänglichkeit unseres Strebens nach Wohlstand und materiellem Wahn könnte es Wohl kaum geben. Und wie wichtig es ist, sich auf nachhaltige Dinge, auf uns selbst zu konzentrieren. Möglichkeiten zu nutzen, die uns wirklich bereichern.
Unsere Kollegen sind Iren, Engländer und Amerikaner, die einem trotz des rauhen Umgangstones mit der Zeit als sympatische Kollegen ans Herz wachsen. Wir arbeiten am Abriss des großen Westpac-Towers, eines nahmhaften neuseeländischen Bankgebäudes. Die mächtigen, weit geöffneten Stahltüren des Banktresores erwecken zwar die Hoffnung auf eine einfachere Möglichkeit, die Urlaubskasse für die Weiterreise aufzufüllen, aber leider ist alles leer.. ;) Für ein paar Wochen werden wir uns trotz der harten Arbeit von früh bis spät da durchbeissen müssen. Denn aufgrund der guten Bezahlung stehen anschliessend alle Türen offen, quasi jedes Land der Erde bereisen zu können. Und so langsam ruft Australien. Mit diesem Ziel vor Augen wird es ein wenig einfacher, die Strapazen zu ertragen. Schließlich soll sie weiter gehen, die lange Reise rund um den Planeten..

  


Sonntag, 4. März 2012

Neuseeland (Februar)

Das Cape liegt mittlerweile hinter uns, wir sind wieder auf dem Weg ins Landesinnere. Das Meer und herrliche Strände sind auf unsere Reise nun fast schon ein gewohnter Anblick und dennoch hat jede der abertausenden neuseeländischen Buchten irgendwie etwas einzigartiges. So auch die von Pahi, eine gute Stunde westlich vom Nadelöhr Auckland gelegen. Über ein paar scharfkantige Felsen gelangt man zu einer abgelegenen Einbuchtung, die bei jedem Wellengang zu einem guten Drittel mit Wasser geflutet wird. Zwar kommt ein Großteil durch die brandenden Wellen, mit ein wenig Verzögerung gelangt jedoch noch einmal weiteres Wasser in die Bucht. Durch kleine Kanäle, die die massiven Felsablagerungen durchdringen und sich im Laufe der Zeit wie die Einschlüsse in einem Schweizer Käse festgesetzt haben. Durch jeden Wellengang gespeißt sammelt sich in der Bucht ein Strom, der Wasser zur gegenüberliegenden Seite und durch eine große Höhle zurück ins Meer bringt, um anschließend wieder zu versiegen. Jedoch nur für einen kurzen Augenblick, dann rauscht schon die nächste Wasserfront heran und das Wasserspektakel beginnt erneut.



Unsere Route nimmt einem bogenförmigen Ausschlag nach Osten. Am Nachmittag treffen wir im Norden der Halbinsel Coromadel am Hot Water Beach ein. Der Name klingt vielversprechend. Es ist Ebbe, der Wasserstand ist kurz vor seinem niedrigsten Level. Seinen Namen verdankt der Strandabschnitt warmen Quellen, die unter der Sanddecke verborgen sind. Mit einer Schaufel ausgestattet machen wir uns alsbald daran, gemeinsam mit einer Gruppe Bustouristen einige dieser kleinen Quellen freizulegen, die sich noch nicht einmal einen Meter tief im feinen Sand befinden. Direkt an der Austrittstelle ist das Wasser so heiß, dass man sich die Füße verbrennt. Der Aushub dient zur Errichtung kreisförmiger Dämme, die das Wasser zu kleinen Pools zusammenstauen, in denen man wunderbar das warme Wasser genießen kann. Nur knapp drei Stunden am Tag kann man überhaupt in diesen Genuss kommen. In der übrigen Zeit verbirgt das Meer die warmen Strandabschnitte unter sich und macht ein Erreichen unmöglich.
Die Nacht am Hot Water Beach kommt uns teuer zu stehen, denn am nächsten Morgen ziert ein Ticket des Councils unsere Windschutzscheibe. Zweihundert Dollar für „Wildcampen“. Mit der Kohle hätten wir uns besser für eine Nacht im Intercontinental einquartiert. Keine zehn Kilometer vom Beach entfernt liegt die Cathedral Cove, die wir anschließend besichtigen. Wie im Paradies kommst du dir vor, wenn du auf einem der beiden Strände liegst, die durch Felswände umgeben und durch einen vom Wasser geschaffenen natürlichen Durchgang miteinander verbunden sind. In seichten Bereichen direkt vorm Strand schauen kleine Felsen aus dem Wasser hervor. Ganz flach und umgeben von feinem Sand laden sie zum Entspannen ein. Krönender Höhepunkt ist ein Wasserfall, der an einer Felswand seitlich eines Strandes wie eine Dusche hinabstürzt. Perfekt, um sich nach dem Baden das Salz von der Haut zu spülen. Traumhaft schön und trotz einiger Besucher ist es angenehm ruhig.



Über die Städte Tauranga und Rotorua gelangen wir schon bald zurück ins Herz der Nordinsel und stehen vor den Toren des Wanganui National Parks. Durchqueren wollen wir ihn auf dem Wasserweg in einer fünftägigen Kajaktour von Taumaranui nach Pipiriki. Drei rote Wanderkajaks stehen dafür bereit und auch sonst sind wir farblich identisch mit exakt dem gleichen Equipment ausgestattet. Im flachen Flussbett müssen wir zunächst nachweisen, dass wir bei einem möglichen Umkippen mit dem Kajak in der Lage sind, dieses auch wieder zu verlassen. Hinzu kommen Instruktionen, wie die ersten Stromschnellen zu bewältigen sind. Wir starten noch am Nachmittag des gleichen Tages.Zu Beginn ist der Fluss verhältnismaessig ruhig. Genau richtig, um sich mit dem neuen Untersatz vertraut zu machen. Recht schnell bin ich sicher, die Erfahrungen früherer Touren über die  Müritz und Saale zahlen sich aus. Aber bereits an den ersten Stromschnellen nimmt das Unheil seinen Lauf und stürzt unsere Tour in ein Desaster. Benjamin kentert innerhalb kürzester Zeit zweimal und hat arg zu kämpfen, dass mit Wasser vollgelaufene Boot ans Ufer zu bringen. Wenig später erwischt es Alex. Auch sein Kajak ist von einer Sekunde auf die andere randvoll. Viel schlimmer: Beim Sturz lässt er sein Paddel los, es treibt unbemerkt davon. Manövrierunfähig ist er am Flussrand gefangen. Bis zum nächsten Zeltplatz sind es noch fast drei Stunden. Sämtliche Ausrüstung der beiden, inklusive der Schlafsäcke und Wechselsachen ist vollkommen durchnässt. Eine Weiterfahrt von Benjamin wäre durch das erhöhte Gewicht umso schwerer, Alex hat ohnehin keine Wahl und muss hier bleiben. Kein Handyempfang, um Hilfe anzufordern, auf dem Fluss sind aufgrund der vorangeschrittenen Tageszeit keine Leute mehr unterwegs. Was nun? Wir entschließen uns, dass ich allein weiter fahre und die beiden vorerst mit allem für die Übernachtung notwendigen Equipment zurück lasse. Sollte ich keine Hilfe finden, habe ich nur zwei Planen, um mir ein Nachtquartier zu errichten. Zudem steht die einbrechende Dunkelheit bevor, vielleicht zwei Stunden bleiben mir, bis sie einsetzt. Die Vorraussetzungen könnten also besser kaum sein. Ich verabschiede die beiden und mache mich auf den Weg. Zunächst durch einige ruhigere Passagen, dann muss ich weitere Stromschnellen bewältigen, die aufgrund des geringen Gewichts meines Kajaks aber keine weiteren Probleme machen. Dann kommen Bereiche, in denen der Whanganui River fast still steht. Manchmal könnte man meinen, dass man sich gar nicht auf einem Fließgewässer befindet. Todenstille. An den Steilhängen links und rechts stehen ein paar Schafe, die mich verdutzt ansehen. Trotz der Eile lasse ich mich hin und wieder treiben, um ein wenig von dieser wunderschönen Kulisse einzufangen. Die Natur, die Ruhe, ich muss mich selbst kneifen um mich wieder zurück zu holen und mir klar zu machen, dass die beiden auf mich zählen. Ich mache wieder Strecke, genug um in der Dämmerung endlich das heißersehnte Schild des Zeltplatzes hoch oben am Uferrand zu sehen. Geschafft. Ich mache fest und schaue mich nach Unterstützung um. Zwei Rentnerehepaare liegen bereits bettfertig in ihren Wohnmobilen, ein junges Pärchen in einem kleinen Zelt. Ein wenig ratlos blicke ich drein, bis ein Motorgeräusch zu hören ist. Der Besitzer des Kanuverleihs fährt mit seinem 4x4 und einem angehängten Motorboot vor. Gott sei dank. Ich erkläre ihm die Situation und zeige ihm auf der Karte die ungefähre Position von Benjamin und Alex. Aufgrund der Dämmerung tut er sich schwer, möchte die beiden eigentlich erst morgen Früh holen. Nochmal weiße ich ihn darauf hin, dass ihnen dann wohl eine harte Nacht bevorsteht, der Untergrund so nah am Wasser sich nicht gerade zum Zelten eignet und bei eventuell entretendem Regen in der Nacht und einem damit verbundenen Ansteigen des Wasserspiegels vielleicht weitere Probleme bevor stehen. Er hat Einsicht, keine viertel Stunde später ist das Motorboot im Wasser. Wir fixieren mein Kajak auf dem Heck, dann dreht er den Zündschluessel und lässt den 360 PS starken Außenborder brummeln. Der Sound und die Kraft lässt mein Herz höher schlagen. Im Wahnsinnstempo gehts wieder flussaufwärts, all die hart erarbeiteten Kilometer werden wieder herunter gezählt. Unter dem Bootsrumpf poltern Steine, der Fahrtwind zischt einem um die Ohren. Durch die kleinen Schlitze meiner Augenlieder versuche ich ein wenig von der Landschaft zu erhaschen, die an uns vorbeirauscht. Unzählige Insekten prasseln auf uns ein, setzen sich in sämtliche Gesichtöffnungen und sollten den Proteinbedarf für die nächsten Tage decken. Dennoch ist es ein tolles Gefühl, in der Abenddämmerung über das Wasser zu rauschen. Nach einer Fahrt, die trotz des hohen Tempos länger dauert als erwartet, erreichen wir die beiden. Bereits bettfertig sitzen sie vor dem aufgebauten Zelt unmittelbar neben dem Fluss. In Windeseile packen wir all die durchweichten Sachen zusammen, laden zwei weitere Kajaks aufs Motorboot und fahren gemeinsam zurück zu dem Punkt, an dem wir etliche Stunden zuvor gestartet waren. Vorm Haus der Familie des Kanuverleihs entleeren wir die nassen Seesäcke und werfen alles in den Trockner. Ich entschuldige mich für die Unannehmlickeiten, sie so spät am Abend mit unseren Problemen zu stören. Sie nehmen es mit Humor. In völliger Finsternis verkriechen wir uns im Bulli und sind gewillt, es Morgen erneut zu versuchen.


 
Im Morgengrauen schälen wir uns aus den Schlafsäcken und machen uns nach dem Frühstueck auf dem Weg zurück zum Kanuverleih. Kurz darauf sind die Seesäcke neu gepackt und für Alex ein neues Paddel bereit gestellt. Wir sind startklar. Der Sohn der Familie bringt uns zu dem Zeltplatz, den ich gestern Abend mit dem Kajak erreicht habe. Wir packen die Kajaks erneut und legen besonderen Wert auf eine gleichmäßige Verteilung des Gewichtes. Planmäßig können wir nach all dem Trouble unsere Tour fortsetzen. Unter einem stark zugezogenen Himmel, der sich in einem einheitlichen Grau zeigt. Hoffentlich bleiben wir diesmal trocken, zum Einen durch die Vermeidung von Stürzen, zum Anderen durch Regen. Bereits hinter der ersten Kurve fordet uns die erste Stromschnelle, die wir diesmal aber allesamt souverän meistern. Wir scheinen gerüstet für eine trockene Weiterfahrt. Bereits auf den ersten Kilometern sehen wir, dass es die absolut richtige Entscheidung war, die Tour fortzusetzen. Eine Flusslandschaft in unverwechselbarer Schönheit, grasgrüne seichte Hügel und mit Moos bewachsene felsige Steilhänge zieren abwechselnd die Flussufer. Aus Ihnen stürzen immer wieder kleine Rinnsäle und Bäche in den Whanganui und füllen ihn kontinuierlich mit Wasser, das so klar ist, das man selbst bei einigen Metern Tiefe problemlos bis auf den Grund sehen kann. Seine Farbe ändert der Whanganui River erst, nachdem einige braungefärbte Zuläufe aus den Bergen münden. Die Transparenz des Wassers verschwindet und schlagartig hat man tiefbraunes Wasser unter sich, das die Fahrt mit dem Kajak ein ganzes Stück schwerer gestaltet, da man unter der Wasseroberfläche verborgene Felsen nun nicht mehr sehen, sondern nur noch an den Strömungen des Wassers erahnen kann. Dennoch verläuft die Weiterfahrt bis auf einen weiteren Sturz von Alex bei einem riskanten Manöver zum Erreichen eines Seitenarmes und den erneuten Verlust seines Paddels beim Festmachen an der Anlegestelle zur Bridge to Nowhere weitesgehend reibungslos. Das Paddel kann ich diesmal auch einige hundert Meter flussabwärts aus dem Wasser angeln und wir können zu dritt weiter fahren. Zum Glück. Und so machen wir uns nach drei weiteren Übernachtungen, unter anderem in einer weit oben auf einem Berg gelegenen ehemaligen Schule, am fünften Tag auf den Weg zu unserem finalen Ziel Pipiriki. Wir sind gerade auf dem Wasser, da beginnt der seit Tagen graue Himmel aufzureißen und sich in einem sehnsüchtig vermissten Blau zu präsentieren. Warme Sonnenstrahlen fallen auf die Haut. Die Landschaft wirkt nun noch eindrucksvoller und begleitet uns auf dem letzten Abschnitt dieser abenteuerlichen Tour. Gegen Mittag erreichen wir den Bootsanleger in Pipiriki und sitzen kurz darauf mit vielen Eindrücken im Gepäck im Bus zurück zu unserem Startpunkt Taumaranui. Eine ereignisreiche Kajaktour findet ihr versöhnliches Ende.

 
 
Nach nur einem Tag Pause sind wir bereit für die nächste Tour. In einem Tagesmarsch wollen wir den Tongariro National Park im Alpine Crossing durchqueren. Noch vor Sonnenaufgang sind wir auf den Beinen, bringen unseren Bulli zum Endpunkt und fahren mit dem Bus zum Start. Bereits nach einigen Metern sind wir umgeben von trister Vulkanlandschaft. Langsam und gleichmäßig gewinnen wir an Höhe. Dann die ersten steileren Passagen. Im monotonen Gleichschritt setzen wir einen Schritt nach dem Anderen. Ganz schön anstrengend, dass Einzige was einen motiviert ist der erhoffte weite Blick vom Gipfel des Mount Ngauruhoe und die eleganten Rundungen einer vor uns laufenden Bergsteigerin. Nach einer guten Stunde stehen wir am Fuß der wuchtigen Lavaaufbauten, der Aufstieg auf knapp 2300m steht bevor. Ein richtig hartes Stück Arbeit, das sich wohl keiner von uns derart anstrengend vorgestellt hat. Zunächst über loses Lavagestein, bei dem jeder Schritt doppelt und dreifach anstrengend ist, da jedes Mal aufs Neue der Boden unter den Füßen nachgibt. In Intervallen von zwanzig Schritten machen wir gefühlte fünf Meter gut. Teilweise ist man der Verzweiflung nahe. Der zweite Abschnitt führt über festes Felsgestein. Ein bischen weniger anstrengend, aber auch nicht ganz ungefährlich, da immer wieder Felsbrocken unter lauten Warnschreien von den vorausgehenden Bergsteigern abgehen. Und dennoch beißen wir uns durch und erreichen gegen Mittag unter starkem Wind den wolkenverhangenen Gipfel. Wir haben dieses schweißraubende Monster besiegt. Die Belohnung ist eine großartige Sicht über die Weite dieser fast unwirklich anmutenden Mondlandschaft. Weit und breit kein Baum, kein Strauch, kein einziger grüner Fleck, alles ist in trostlose Rot- und Brauntöne gehüllt. Einzige Farbtupfer sind der Blue Lake und die türkisfarbenden kleinen Emerald Lakes. Weit am Horizont liegt der große Lake Taupo. Gegenüber und scheinbar zum Greifen nahe eine nicht ganz so hohe Erhebung, die den Namen des Nationalparks trägt. Der Mount Tongariro. Dicht hinter uns der gigantische Krater, in dessen Mitte einige Überreste an Schnee liegen. Immer wieder klart es auf um im Handumdrehen wieder zuzuziehen. Umgeben von Wolken riecht es wie im Dampfbad des GalaxSeas. In Mitten dieses ständigen Wechselspiels nehmen wir hinter einer windgeschützten Felswand Platz um eine wohlverdiente ausgiebige Brotzeit einzunehmen und neue Kräfte für den Weitermarsch zu tanken.




Wir gehen den Abstieg an. Erst ein wenig zögerlich, da es unheimlich steil bergab geht. Wir suchen einen Bereich, in dessen Absturzschneiße keine rauf oder runter kletternden Bergsteiger unterwegs sind, um sie nicht durch unser losgetretenes Geröll zu gefährden. Mit jedem Meter gewinnen wir an Sicherheit, um wenig später in übergroßen Siebenmeilenschritten förmlich ins Tal zu springen. Zwar läuft man schon nach kurzer auf einem Bett aus feinem Sand in den Schuhen, aber das ist eine erträgliche Problematik. In einem Bruchteil der Zeit, die wir für den Aufstieg benötigt haben, gelangen wir zurück zur Ausgangsstelle um unsere Tour auf ebenem Terrain fortzusetzen. Zunächst durch den riesigen Centrel Crater, an dessen Seite eine weggesprengte Bergkuppe wie ein Zeitzeuge über die Urgewalten vergangener Aktivitäten berichtet. Deutlich sind auch noch erkaltete Lavaströme zu sehen, die sich einst am Steilhang entlang ergossen. Dann über Bergkämme zum Red Crater, direkt daneben die kleinen Emerald Lakes. Auch im tiefen roten Krater ist eine Austrittsschneiße zu sehen, die durch erkaltete Lavamassen die Form einer Rinne angenommen hat. Weit unten ein kleiner Bach, mehr ein Rinnsal, das sich wild strudelnd auf den Weg ins Tal macht. Zu einem der umliegenden Seen oder dem Meer vielleicht. Rechts und links des Weges treffen wir hin und wieder auf kleine Felsöffnungen, aus denen heißer Dampf empor schiesst. Ein unangenehmer Schwefelgestank liegt in der Luft. Wir passieren weitere Krater und den Blue Lake, bevor wir in zahlreichen Serpentinen langsam wieder an Höhe verlieren. An einer Berghütte vorbei, von deren Terrasse wir einen letzten Blick über die Weite der Landschaft genießen. Etliche Kilometer können wir den Bergpass von hier aus verfolgen, der uns in einem zweistündigen Abschlussmarsch zurück zum Parkplatz bringt. Das letzte Stück durch dichte Wälder und über nicht enden wollende Holzstege. Es zieht sich eine gefühlte Ewigkeit hin, bis wir endlich am Auto eintreffen und zu einem nahegelegenen Dock fahren, um dort einen Schlafplatz für die Nacht zu finden.




Ein paar Tage später erreichen wir die Südküste, unser Bulli passiert das Orteingangsschild der Hauptstadt Wellington. Die letzte Station auf der Nordinsel, viel zu schnell ist der erste Teil Neuseelands schon wieder kurz vor seinem Ende. Direkt am Hafen stellen wir Borat ab. Es ist Samstag, die Gelegenheit, um mit zwei Mädels, die direkt neben uns parken ordentlich einen drauf zu machen. Und dann kommst du nach wochenlanger Abstinenz in weitläufiger Einöde in ein paar Straßenzüge, wo sich die Leute in und vor endlosen Clubs tumnmeln und stehst einen Augenblick später dicht gedrängt an jungen Kurven in der feiernden Croud. Oh man, it’s hard to let go.. Zweifelslos ist das hier das Beste, was die dürftige Partyszene in NZ bisher zu bieten hatte. Ein gelungener Schlussstrich unter das Kapitel Nordinsel. Wenige Tage später nehmen wir die Fähre, die uns zusammen mit Bulli und allem Hab und Gut auf die Südinsel bringt. Gehört haben wir schon viel: Landschaftlich noch schöner und mit nur einer Million Menschen nur knapp ein Drittel der Bevölkerung des Nordens. Und nach ein paar Stunden rollt er wieder. Nach Blenheim, wo wir auf dem neuen Untergrund das erste Mal Halt machen..